Interview: Rechtliche Rahmenbedingungen für Social Entrepreneurship in der Schweiz
Brandneu: Dr. Claude Humbel und MLaw Thimo Wittkämper sprechen über ihr neues Buch „Corporate Philanthropy und Sozialunternehmertum im Schweizer Unternehmensrecht„. Wir haben mit ihnen in unserem Interview über ihre Beweggründe sowie die entscheidenden rechtlichen Herausforderungen gesprochen und mögliche Lösungsansätze diskutiert:
Warum habt ihr Euch entschieden, ein Buch zu diesem Thema zu schreiben?
Dr. Claude Humbel: Nachdem ich mich seit bald einem Jahrzehnt mit Non-Profit-
Organisationen beschäftigt habe, hat mich zunehmend die Frage fasziniert, wie sich
Unternehmen im Graubereich zwischen Wohltätigkeit und Unternehmertum bewegen.
Corporate Philanthropy und Sozialunternehmertum sind zwei zentrale Ausprägungen der
Idee, dass sich diese beiden Elemente nicht gegenseitig ausschliessen müssen.
Thimo Wittkämper: Ich beschäftige mich bereits seit dem Studium intensiv mit
Sozialunternehmertum und schreibe auch aktuell meine Doktorarbeit in diesem Bereich. Als
mir klar wurde, wie wenig hierzu publiziert wurde, kam die Ambition auf, hier eine rechtliche
Forschungsgrundlage zu schaffen.
Wo liegen die grössten rechtlichen Herausforderungen für Sozialunternehmen in der
Schweiz?
Dr. Claude Humbel: Die Wahl einer geeigneten Rechtsform ist sicherlich die wichtigste
rechtliche Herausforderung bei der Gründung eines Sozialunternehmens. Sie ist
herausfordernd, weil es keine dedizierte Rechtsform gibt und die Wahl einer in einem
Bereich geeigneten Rechtsform stets auch Nachteile in einem anderen Zusammenhang gibt.
In unserem Buch sprechen wir dabei von Zielkonflikten oder «Trade-offs», mit denen
Sozialunternehmen konfrontiert sind. Beispielsweise ermöglicht es die Rechtsform der
Stiftung, ein nachhaltiges «Commitment» für eine bestimmte Aufgabe zu kommunizieren,
eignet sich aber kaum als Kapitalsammelbecken.
Thimo Wittkämper: Wählen Gründer*innen nämlich eine Kapitalgesellschaft, können sie zwar einfacher Investorinnen an Land ziehen, doch werden sie meist auch als klar
gewinnorientiert wahrgenommen. Sind sie aber ein steuerbefreiter Verein oder eine Stiftung
können sie gar keine Gewinne ausschütten. Dies führt sodann gleich zur zweiten grossen
Herausforderung: die Finanzierung.
Welche Lösungen stehen Sozialunternehmen in der Schweiz heute zur Verfügung?
Thimo Wittkämper: Gründer*innen stehen die herkömmlichen Rechtsformen wie AGs, GmbHs, Genossenschaften, Vereine oder Stiftungen offen. Sozialunternehmerinnen
müssen bei der Gründung oder Umstrukturierung aber häufig Pionierarbeit leisten, damit die
Statuten und die Governance den Anforderungen ihres Sozialunternehmens entsprechen.
Grundsätzlich ist dies – mit gewissen Vorbehalten und mit angemessener Rechtsberatung –
machbar, das Gesetz liefert aber keine auf Sozialunternehmen zugeschnittene Blaupausen.
In Ländern wie Frankreich oder Italien kann auf vorgefertigte Formen zurückgegriffen
werden, die gegenüber den Kund*innen und Investor*innen das «Signaling», also die
Kennzeichnung als Social Enterprise übernehmen.
Dr. Claude Humbel: Während es, wie Thimo sagt, «Work-arounds» gibt, bleiben diese im
Bereich der Sozialunternehmen meist ein Flickwerk, was bisweilen existenzielle Bedeutung
haben kann: Beispielsweise sind auch Sozialunternehmen an einer Finanzierung über
Impact Investments oder Ausschüttungen von Förderstiftungen interessiert. Aufgrund der
strengen Praxis mancher Steuerbehörden dürfen gemeinnützige Stiftungen keine
Ausschüttungen an nicht steuerbefreite Organisationen machen, auch wenn sich diese sozialen Zwecken widmen. Glücklicherweise ist diese Praxis nicht unantastbar und die Zürcher Steuerbehörden haben jüngst ihre Praxis angepasst. Dieser Entscheid könnte für die gesamte Schweiz Signalwirkung haben.
Braucht es aus rechtlicher Perspektive Anpassungen? Wie steht Ihr zu den Aussagen
des Bundesrates, die rechtlichen Rahmenbedingungen seien ausreichend?
Dr. Claude Humbel: In unserer fundierten Analyse kommen wir zu einem eindeutigen Verdikt:
Ja, es braucht Anpassungen, wenn man die Entwicklung des Sektors nicht im Keim ersticken
möchte. Der rechtliche Rahmen ist nicht immer adäquat. So verweist der Bundesrat etwa
gerne auf den relativen Erfolg privater Labels, um den Verzicht auf die Einführung staatlicher
Rechtsformzusätze oder dgl. zu begründen. Damit ist aber nur das Bedürfnis einer
Zertifizierungsmöglichkeit und die Aktualität des Themas erwiesen, aber noch keine Aussage
über die Ausgestaltung getroffen. Hierbei hätte ein staatlicher Rechtsformzusatz viele
Vorteile gegenüber privaten Lösungen. Diese Akteure sind nämlich immer dem Druck
ausgesetzt, die Schwellen nicht zu hoch anzusetzen, um genügend Interessenten
anzuziehen. Und schliesslich ist anzumerken, dass sich sogar die wichtigsten privaten
Akteure allesamt für eine staatliche Lösung einsetzen, auch wenn ihnen dadurch Konkurrenz
entstehen würde.
Thimo Wittkämper: Auch der schriftliche Bericht der zuständigen Ständeratskommission
weist einige Unschärfen auf. So seien die beschriebenen Hürden nicht mithilfe des
Gesellschaftsrechts lösbar. Zum einen können die Finanzierungsmöglichkeiten sowie die
Unternehmenskennzeichnung durchaus gesellschaftsrechtlich adressiert werden – hier bietet
unser Buch eine Vielzahl von Vorschlägen. Zum anderen beantragte die Motion ohnehin eine
über das Gesellschaftsrecht hinausgehende Anpassung des rechtlichen Rahmens.
Zudem brachte die Kommission vor, die Schweiz stehe bei einem internationalen Vergleich
der Social Entrepreneurship-Standorte gut da. Berücksichtigt man aber die aktuellen Zahlen,
befindet sich die Schweiz auf einem deutlichen Abstieg, was sich in Anbetracht der
verbesserten rechtlichen Rahmenbedingungen im Ausland zukünftig noch weiter
akzentuieren dürfte. Es bleibt zu hoffen, dass im Parlament die von uns identifizierten
rechtlichen Hürden bei zukünftigen Vorstössen ausreichend berücksichtigt werden.
Du möchtest mehr dazu erfahren? Hier gehts zum Buch von Thimo Wittkämper und Dr. Claude Humbel: